Fachkräftemangel in der Pflege – Tipps zum Active Sourcing im Gesundheitswesen

Fachkräftemangel in der Pflege – Tipps zum Active Sourcing im Gesundheitswesen

 

Am 7. September 2016 findet der 5. Intensivpflegetag in Waren/Müritz statt. In Vorträgen und Workshops diskutieren die Teilnehmer in diesem Jahr über das Thema „Pflege-Fachkräfte finden, gewinnen und halten”. Wir haben mit Key-Note Speakerin Silke Wöhrmann über das Thema gesprochen. Als Geschäftsführerin der
APT Personalmarketing GbR berät sie Unternehmen und entwickelt individuelle Personalmarketing-Konzepte.

 

Frau Wöhrmann, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben. In Vorträgen und Workshops gehen Sie besonders darauf ein, dass die Recruiter auch mal wieder durch „die Augen der Bewerber” sehen sollten. Welche Tipps geben Sie Personalverantwortlichen z.B. bei der Frage „Erzählen Sie mir doch einmal, warum ich als Bewerber bei Ihnen arbeiten soll”. Eine Art Elevator-Pitch-Training für Human Resources Manager?

 

Das ist ganz einfach. Genauso, wie wir es von den Bewerbern erwarten, dass sie sich Gedanken über sich und ihre Fähigkeiten machen, sollten sich Unternehmen darüber klar werden, wer sie sind, was sie bieten und was sie besonders macht. Auf der Suche nach dem, was ein Unternehmen besonders macht, sind 6 Faktoren kennzeichnend:

  • Die Werte, die das Unternehmen auszeichnen
  • Der Ort, an denen Arbeit geleistet wird
  • Die Zeit, in der Arbeit geleistet wird
  • Die Menschen, die die Arbeit leisten
  • Die Dienstleistungen oder Produkte, für die Arbeit geleistet wird
  • Die Methoden und Prozesse, in denen und mit denen Arbeit geleistet wird.

 

Spätestens nach dem dritten Vorstellungsgespräch ist der Bewerber von der Frage „Was sind Ihre Stärken und Schwächen” gelangweilt und erzählt häufig einen einstudierten Text. Welche Tipps haben Sie für Recruiter, um die Frage kreativer zu gestalten?

 

Grundsätzlich: diese Frage ist Unsinn und kann in den Papierkorb. Es ist für mich als Personalpsychologin erschreckend, wie oft sie noch verwendet wird. In der Diagnostik werden so interessante Dinge entwickelt und irgendwie bleibt immer diese Frage hängen, obwohl sie schlichtweg nicht valide ist. Denn wer glaubt wirklich, dass man so die Stärken und Schwächen erfährt? Da muss man sich schon mehr anstrengen. Besser: Ein Recruiter sollte immer zunächst wissen,

  • Welche Fähigkeit will ich testen? (z.B. Kommunikationsfähigkeit)
  • Welche konkreten und beobachtbaren Verhaltensweisen gibt es zu dieser Fähigkeit (z.B. „spricht deutlich“, „nutzt einen umfassenden Wortschatz“)
  • Welche Fragen bzw. Übungen muss ich stellen/erarbeiten, um diese Verhaltensweisen beobachtbar zu machen?

 

Wenn ich also herausfinden möchte, ob sich jemand schon einmal Gedanken über sich selbst gemacht hat (das vermute ich hinter der Stärken-Schwächen-Frage), dann prüfe ich die „Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren“. Jemand, der sich selbst reflektiert zeigt z.B. die Verhaltensweise, sich weiter entwickeln zu wollen. Die passende Frage wäre: Wie schätzen Sie sich als Person ein? Wo müssen Sie sich noch weiter entwickeln? Wie planen Sie diese Entwicklung?

Oder ich stelle die STAR-Regel (Situation-Task-Active-Reaction): Nennen Sie mir eine Situation, in der Sie sich hinterfragen und weiter entwickeln mussten. Wie war die Ausgangssituation? Wie lautete ihr Ziel? Was haben Sie unternommen? Wie war Ihr Erfolg?

 

Im Bereich der Pflege und im Gesundheitswesen gibt es einen großen Fachkräftemangel. Wie ist im Bezug auf die Personalpolitik der aktuelle Status Quo? Welche Kanäle empfehlen Sie Recruitern für das Active Sourcing?

 

Eine qualitative Personalpolitik in der Pflege befindet sich aus meiner Sicht noch im Anfangsstadium. Personalpolitik im Gesundheitswesen (nicht nur hier, aber auch) ist häufig noch auf die reine Verwaltung ausgerichtet, und die Personaler werden als „Administrative Expert“, nicht aber als „Employee Champion“ oder gar als „Strategic Partner“ gesehen. So halte ich die Erweiterung der Personalpolitik um ein strategisches HR Development und Personalmarketing i.V.m einer höheren Digitalisierung für unabdingbar. Nur dann können langfristige Konzepte auch Wirkung entfalten. Und die Lösung für den Fachkräftemangel kann nur langfristig angelegt sein. Einfach nur mal einen armen Recruiter einstellen, der das Problem lösen soll, reicht nicht.

 

Das Active Sourcing ist aus meiner Sicht ein wichtiger Bestandteil im gesamten Personalmarketing-Mix und auch wunderbar für die Pflege und das Gesundheitswesen geeignet. Hier arbeiten Menschen, die sehr gut auf andere zugehen können – warum also nicht auch auf Schüler, auf Studenten? Hier ein paar Beispiele für die direkte Schüleransprache: Das Bundesministerium für Wirtschaft & Energie bietet tolle Projekte mit der Möglichkeit, Unterricht zu geben oder Schüler in die eigene Firma einzuladen“ z.B. „Jugend denkt Zukunft“, „Schüler im Chefsessel“ o.ä.[1][2]. Das Junior Projekt ermöglicht es, SchülerInnen bei der Gründung eines Unternehmens zur Seite zu stehen. Das Projekt des Handelsblattes „Mitarbeiter machen Schule“ – auch eine gute Initiative. Es weiterhin die Chance, in Eigeninitiative die Schüler in die Firma einzuladen (z.B. über die Tage der offenen Tür) und diese bekannt zu machen (z.B. www.vinabi.de). Es gibt Initiativen für Jugendliche, die beruflich noch nicht so viel Glück hatten, jetzt aber bereit für einen Job sind (z.B. Joblinge).

 

Studierende ansprechen geht auch ganz einfach: So ist z.B. die HS Fresenius offen dafür, Unternehmensvertreter aus der Praxis in eine Vorlesung einzuladen – wer sich dafür interessiert, kann sich direkt an die Lehrbeauftragten wenden.

Oder: viele Schüler entwickeln tolle Schülerzeitungen und freuen sich, wenn sie durch Anzeigen auch einmal einen Farbdruck realisieren können. Warum nicht mal hier schalten? Und es bricht sich niemand etwas ab, wenn man mal direkt in der Schule anruft (überall gibt es Mitarbeiter, die für die Berufsorientierung zuständig sind) und anbietet, etwas über einen Beruf zu erzählen. Wichtig ist nur: SchülerInnen merken sofort, wenn jemand nur werben will. Es muss schon zielgruppenspezifisches Content auf Augenhöhe geboten werden, um von seiner Zielgruppe ernst genommen zu werden.

 

In Ihrem Vortrag auf dem 5. Intensivpflegefachtag sprechen Sie von Employer Branding als Unternehmensphilosophie. Was sind Ihre besten Tipps, um langfristig eine Strategie für das eigene Unternehmen zu entwickeln und umzusetzen.

 

Im Wesentlichen lassen sich alle Überlegungen zum Employer Branding in 6 Bereiche zusammenfassen:

  1. Analyse: Wie sieht der (Bewerber-)Markt aus? Wie entwickelt er sich? Wo sind unsere Bewerber und Fachkräfte?
  2. Strategisch-intern: Wie sieht unsere Personal(marketing-) situation aus? Was wollen wir erreichen? Mit welchen Kennzahlen? Welche Employee Value Proposition streben wir an? Wen wollen wir?
  3. Operativ-intern: Wie sieht unser Recruitingprozess aus? Wie sehen wir selbst aus (Website, Fotos, Texte)? Sind wir mobiloptimiert? Sind unsere Führungskräfte und Ausbilder auch in sozialen Kompetenzen geschult?
  4. Strategisch extern: die Candidate Experience, Marketingdifferenzierung und Medienstrategie, Wettbewerbsanalysen (Was machen andere?).

 

Und dann erst kommt

  1. Operativ-extern: alles, was man konkret unternimmt, um Bewerber und Fachkräfte zu bekommen. Affiliate Marketing, Active Sourcing, Sozial Media, Webportale, Empfehlungsmarketing, Messenger-Dienste….
  2. Die Evaluation ist letztendlich der Abschluss und der Anfang von allem: Hier werden die in 2. festgelegten Kennzahlen überprüft und ggfs. werden die Instrumente anders/neu ausgerichtet.

 

Was sind Ihre HR-Trends 2016 bzw. was sind moderne Instrumente für die Personalgewinnung. Haben Sie bestimmte Empfehlungen an Personalverantwortliche?

 

2015 war der HR-Trend der Fachkräftemangel, Diversity, Digitalisierung. 2014 Führung, Change und Arbeitgeberattraktivität[3]. Ich halte persönlich nicht so viel von Trends, wenn sie nur 1 Jahr dauern. HR-Arbeit muss dauerhaft wirken – und viele Themen miteinander kombinieren, denn das ist die Kunst. So beeinflusst Digitalisierung die Führung und Change die Arbeitgeberattraktivität – und umgekehrt.

 

Moderne Instrumente sind Strategien, Tätigkeiten und Denkweisen, die in die heutige Zeit und auch in das „Morgen“ passen. Dabei ist jedes Unternehmen gefragt, sich aus der Fülle der Möglichkeiten diejenigen herauszusuchen, die passen. Und es gibt jede Menge Möglichkeiten. Man muss sie nur kennen. Um diese zu zeigen ist ja mein Vortrag am 07.09.2016 zuständig.

 

Meine besondere Empfehlung an Personalverantwortliche: Ändert – wenn notwendig – das Denken gegenüber bestehenden Mitarbeitern (denn diese sind Eure Zielgruppe für das empfindliche Empfehlungsmarketing!) und gegenüber kommenden Generationen von Bewerbern von: „ist Bittsteller“ in: „ist Kunde“. Die schönste Website ist vertan, wenn der Bewerber muffelig empfangen oder herablassend im Gespräch behandelt wird.[4] Das beste Marketing ist nur teuer und sonst nix, wenn die Botschaft „Herzlich Willkommen bei uns!“ nicht gelebt wird. Kurz gesagt: Personalgewinnung findet als erstes im Kopf statt. Und dann kann alles Andere kommen.

 

Herzlichen Dank für das Interview!

 

Quellen:

[1] http://www.unternehmergeist-macht-schule.de/DE/Initiativen/Schueler-im-Chefsessel/steckbrief.html

Alle Initiativen: http://www.unternehmergeist-macht-schule.de/DE/Initiativen/initiativen_node.html

[2] http://www.unternehmergeist-macht-schule.de/DE/Initiativen/Jugend-denkt-zukunft/steckbrief.html

[3] Vgl. u.a. Kienbaum-Studien

[4] Wöhrmann,S. 2016, Auf Augenhöhe mit dem Nachwuchs, Fachteil Employer Branding, personalwirtschaft, Verlag Wolters Kluwer


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